Ich habe seit inzwischen vier Jahren einen Patreon Account, der, ich muss es leider voller schlechtem Gewissen zugeben, ein wenig verwaist ist, digital unterernährt. Die tollen Patrons, die mich dort tapfer unterstützen, haben von mir nicht annähernd so viel zurückbekommen, wie sie es verdient hätten und erst recht nicht so viel, wie ich ihnen eigentlich geben wollen würde. Warum ist das so?
Nun, wie alles im Leben ist die digitale Einöde die dort mitunter herrscht nicht monokausal. Vieles hat mit struktureller Überforderung zu tun. Es wissen vielleicht nicht alle hier , aber das Projekt John Allen ist nicht nur auf der Bühne sondern auch dahinter eine One-Man-Show, ein echtes Ein-Mann Unternehmen. Songwriting, Recording, Booking, Promo, Marketing, Podcasts, Merchandise Design, Bestellungen im Online Shop, Emails, Versand, Steuererklärung, Konzerte, Recording, Social Media und alles was ich noch vergessen habe, wird von mir geplant, designed, erledigt. Ich kann mich täuschen, aber ich hatte durchaus das ein oder andere mal Wasserflecken von Marie Condos Verzweiflungstränen auf meiner To-Do Liste. Im Gegensatz zu Marie Condo bin ich nämlich, wie ich ungern zugeben muss, leider zu häufig unorganisiert, dezent unstrukturiert und verliere schnell mal den Überblick! Und wir wissen alle: Fehlende Struktur verhält sich proportional zum notwendigen Zeitaufwand der zur Abarbeitung der To-Do Listen benötigt wird. Wenn ich mal auf eine Email nicht antworte, oder auf eine Nachricht bei Instagram oder Twitter – liegt’s in der Regel daran, versprochen!
Der andere Grund, der um den es hier eigentlich gehen soll ist jedoch ein anderer. Aber erlaubt mir, an dieser Stelle mit einer Frage einzusteigen, die mir vor ein paar Jahren während des Studiums einmal gestellt wurde: Sie: “Warum machst du eigentlich Straßenmusik?” Ich: “Weil es Spaß macht, weil ich viel dabei lerne und weil ich noch ein wenig Geld zum Studium dazuverdienen kann!” Darauf sie: “Aber schämst du dich nicht, zu betteln? Du kannst doch auch einen anständigen Job machen, du bist doch klug!” So nah können Kompliment und Kettensägenmassaker beieinander liegen… . Die Wahrheit ist, mir wurde an vielen Stellen in meinem Leben gespiegelt, ich sei nicht gut genug. Mir wurde auch an noch viel mehr Stellen gespiegelt, dass ich ausreiche, so ist es nicht, aber der Eindruck der eigenen Unzulänglichkeit ist schon vor Jahren als ständiger Untermieter bei mir eingezogen. Er weigert sich zwar nach wie vor beharrlich Miete zu zahlen, macht sich aber regelmäßig unanständig breit und bestimmt ganz oft wie es im Hause Allen abzulaufen hat. Das hat zur Folge, dass ich Komplimente, so gerne ich sie höre, so sehr ich sie brauche, schwer annehmen kann. Das ich häufig besessen bin von der Sorge ertappt oder entlarvt zu werden. Psychologen nennen das Imposter Syndrome, oder auch Hochstapler Syndrom. Da zu kommt, dass sich psychische Probleme bei mir immer dann verstärken, wenn Stresslevel steigen oder wenn Erwartungen an mich gestellt werden, von denen ich fürchte, sie nicht erfüllen zu können. Aus der folgenden Antriebs- oder Hilflosigkeit, gepaart mit einem perfektionistischen Ansatz, dem ich nur selten gerecht werden kann entsteht dann nicht selten ein Teufelskreis: Die Hürde überhaupt etwas zu machen, wird so groß, dass es mir nicht gelingt, überhaupt anzufangen. Die Folge ist ein schlechtes Gewissen, das Gefühl gescheitert zu sein, Scham und ein immer weiter wachsender Hügel. Und das bringt mich zu einer zentralen Frage: Wie konnte ich eigentlich wirklich glauben, dass das mit mir und Patreon etwas wird?
Schließlich muss ich für Patreon werben. Immer und immer wieder. Wo es mir doch schon schwer genug fällt, meine Musik oder meine Auftritte zu bewerben, muss ich hier ernsthaft dafür werben, das Menschen mich zu unterstützen. Mich! Nicht meine Musik. Keine CD kaufen. Kein neues T-Shirt. Keine neue Tour. Keine Band. Es geht um mich als Person, also genau genommen bitte ich bei Patreon um Unterstützung ohne reellen Gegenwert. Marktwirtschaftlich gesehen eine Katastrophe und für mich wirklich der emotionale Endgegner. Hätte ich frühzeitig darüber nachgedacht, ich hätte mein Bündel gepackt und die digitale Flucht ergriffen. Habe ich aber nicht und jetzt ist der Salat da.
Auftritt Judith Holofernes. Habt ihr Judiths Buch gelesen? Die Träume anderer
Leute. Was für ein Meisterwerk. So berührend, so ehrlich, so tiefgründig, so witzig, so augenöffnend! Ich habe jede einzelne Seite verschlungen und beneide jeden von euch, der dieses Buch noch nicht gelesen hat. Was für eine wundervolle, manchmal melancholische, emotionale Reise da vor euch liegt. Judith ist bei Patreon, das wusste ich schon vorher. Was ich nicht wusste, ist das auch sie über viele der gleichen Zweifel gestolpert ist, die mir meinen eigenen Marathonlauf erschweren. In der Hälfte des Buches findet sich ein Kapitel dessen Lektüre für mich unendlich viel geändert hat. (Randnotiz: Es gibt unzählige Stellen in Die Träume anderer Leute die mich das Buch eher in die Kategorie grandiose emotionale Self-Help Literatur als unter Memoiren einordnen lassen!) Die Kunst des Bittens heißt besagtes Kapitel. Der Titel ist einem nicht minder beeindruckendem TED Talk von Amanda Palmer entliehen, The Art of Asking. Beides, Kapitel und TED Talk habe ich inzwischen mehrfach verschlungen und Amanda Palmers Buch wartet auf meinem Nachttisch darauf, gelesen zu werden. Worum geht es?
Hier in Kürze: ebenso wie es Amanda Palmer gelungen ist Judith Holofernes’ Augen zu öffnen, ist es Judith bei mir geglückt, mit Amandas Unterstützung vielleicht, aber das spielt keine Rolle. Ich will gar nicht zu viel vorwegnehmen, aber zentral geht es um die Frage, wie sich Wert und Gegenwert in der Kunst genau austarieren lassen. Ich habe zum Beispiel kein Problem damit, €15 für eine CD anzunehmen, weil ich der Käuferin oder dem Käufer etwas als Gegenleistung anbieten kann, dass greifbar ist und entsprechend von Wert. Einen Tonträger. Eine Scheibe, ein Booklet mit hübschem Foto drauf (habe ich erwähnt, dass ich seit neuestem zum Leidwesen von Marie Condo das Artwork für meine Releases auch selber mache?), alles schön verpackt. Aber wenn man es genau nimmt interessiert sich doch kaum jemand für den physischen Gegenwert bei Musik. Kein Mensch misst den Verkaufspreis einer CD am Einkaufspreis der Einzelteile. Eigentlich kauft man sich mit einem Album, einem Bandshirt oder einer Schallplatte nichts anderes als ein Stück Emotion ein. Und sei es nur das gute Gefühl, eine Künstlerin oder einen Künstler unterstützt zu haben. Heißt: auch das Verkaufen von Musik, welches ich ohnehin seit Jahren betreibe, erfüllt den Tatbestand der Unterstützung ohne reellen Gegenwert.
Es geht in Buch und TED Talk entsprechend auch darum, wie unangebracht Scham ist. Bei mir existiert er, weil die Bitte nach Unterstützung für ein nachhaltiges künstlerisches Dasein ohne reellen Gegenwert die stigmatisierende Idee anheftet, gescheitert zu sein. Es alleine nicht zu schaffen. Durchgeschleppt werden zu müssen. Zu betteln. Erst jetzt, dank Judith und Amanda (die ich jetzt einfach mal duze, verbunden in Dankbarkeit und imaginärer Freundschaft – sollte das zu gruselig oder distanzlos klingen, dann entschuldige ich mich in aller Form!) habe ich begriffen, dass es sich hier nicht um Almosen handelt. Menschen, die meine Musik unterstützen werfen mir nicht aus Mitleid 10 Cent in einen ausgefransten Hut. Sie unterstützen mich, weil meine Musik (auch wenn ich mir das nicht in jedem Geisteszustand einwandfrei erklären kann!) sie glücklich macht, sie begleitet, sie tröstet, sie auffängt und weil sie dankbar sind, dass es diese Musik gibt. Vielleicht sogar, weil sie sich so sehr wünschen, dass ich es mehr Musik von mir gibt, dass sie bereit sind, dazu regelmäßig einen Teil beizutragen. All diese emotionalen Zustände haben kein Preisschild und sind in ihrem Wert so individuell wie unmessbar. Daher ist es in Ordnung, Menschen die Möglichkeit zu geben, eine Künstlerin oder einen Künstler zu unterstützen, oder vielleicht auch etwas zurückzugeben. Amanda sagt in ihrem TED Talk voller Überzeugung sinngemäß: “People love to give. You just have to learn to ask and to accept.”
Ihr Lieben, ich könnte hier sicherlich noch seitenweise weiterschreiben, mich erklären, mich rechtfertigen. Aber die wirklich wichtige Botschaft für mich ist die hier: es hat sich in mir eine riesige Blockade gelöst. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob sie für immer gelöst bleiben wird, oder ob sich nicht doch an einem finsteren Dienstag vormittag wieder eine Staumauer fies links von der Seite einschleicht und meiner Klarheit das Wasser abgräbt. Aber für den Moment weiß ich endlich, wenn auch mit ein paar Jahren Verspätung, warum ich mich bei Patreon angemeldet habe.
Ich habe mir für die Zukunft vorgenommen, näher bei euch zu sein. Ich möchte Patreon nutzen, um einen Safespace zu schaffen, in dem ich mich euch öffnen kann, losgelöst von dem Zwang euch etwas bieten zu müssen, losgelöst von der Scham, euch nicht genug bieten zu können, weil ich begriffen habe, dass meine Kunst (wie lange ich alleine gebraucht habe um ohne mich vor Scham schütteln zu müssen, meine Musik als Kunst zu bezeichnen, wollt ihr gar nicht wissen!) euch schon etwas bietet. Einen Raum, in dem wir uns austauschen können, in dem ich euch kennenlernen kann und in dem ihr mich kennenlernen könnt. In dem wir diskutieren können und voneinander lernen. Wo ich Ideen teilen kann, aus denen vielleicht einmal Lieder werden oder auch nicht. Wo ich scheitern kann und ihr mir sagt, dass etwas auch mal nicht cool ist. Ich möchte nicht, dass es verstanden wird als “John verkauft Zugang zu sich.” Ich möchte, dass mein Patreon Account verstanden wird als “John möchte eine Community schaffen und die Grenzen von Künstler und Publikum aufbrechen.”
Wenn ihr Lust habt, mich dabei zu begleiten, dann meldet euch gerne bei Patreon an. Ich habe mich dagegen entschieden, Bezahlschranken einzurichten. Das heißt, ihr entscheidet, wieviel ihr monatlich geben möchtet. Das kann €1 sein, oder wie Menschen in Hamburg-Eimsbüttel sagen, ein viertel Milchkaffee. Das können auch €2, €3,81 oder €100 sein. Ihr könnt das auch jeden Monat ändern oder kündigen, wenn bei euch das Geld mal knapp wird. Aber für mich gehört dazu, dass unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten jede und jeder das Gleiche bekommt.
Ich möchte aber auch klar sagen, dass ihr jederzeit ohne euch zu rechtfertigen und vor allem ohne schlechtes Gewissen kündigen könnt. Ich möchte euch nicht emotional erpressen, ich möchte mich nicht an euch bereichern, ich möchte euch die Chance geben, euch einladen, euch bitten, mit mir zusammen meinen Weg weiter zu gehen.
Es werden auch in Zukunft wahrscheinlich Monate dabei sein, wo ich mich rar machen werde, weil ich gerade nicht anders kann, weil sich auf meinem Horizont die Gewitterwolken verdichten und ein Sturm aufzieht. Aber ich versuche euch dennoch so gut es geht mitzunehmen und hoffe vor allem auf eins: eure Interaktion. Mich interessiert wirklich, wer die Menschen sind, die mich unterstützen, denen ich so viel zu verdanken habe!
Vielen Dank für’s bis hier hin lesen und bis bald bei Patreon, bei meinen Shows oder sonst irgendwo – somewhere down the road!
Und an Judith und Amanda: Danke! Einfach DANKE – in Großbuchstaben!
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