Seems like everyone goes crazy on the last day of the year…. Mehr als zehn Jahre ist das her, dass ich New Year’s Eve geschrieben habe. Kaum vorstellbar, oder? Ihr Lieben, dieses Jahr bin ich 40 geworden, auch das ist kaum vorstellbar. Ich habe vor wenigen Tagen beim Aufräumen meine alten Notizbücher gefunden, die, in denen die ersten Entwürfe zu den Songs auf Sophomore stehen. Die erste Zeile von Home, die ich jemals geschrieben habe: From the day that I was born, I went searching for a home / Couldn’t find it anywhere, I remained unknown. Oder eine Notiz über ein Telefonat, dass ich mit einem Freund im ICE im März 2013 von Köln nach München geführt habe… da steht in meiner etwas krakeligen Handschrift. “Im Zug mit Daniel telefoniert und über seine Freundin gesprochen. Er sagt, er freut sich mich zu sehen. Er sagt, er braucht gerade mehr als ein Telefonat, mehr als diese Zuggespräche.” Jaja, I don’t need phone calls or these train conversations. Was will ich euch eigentlich sagen? Dass ich ohne es zu bemerken zehn Jahre älter geworden bin vielleicht. Dass ich manchmal morgens in den Spiegel schaue, graue Haare in meinem Bart entdecke und lächeln muss und mir denke, dass ich beim besten Willen auch nicht mehr wie 29 aussehe. Und jetzt ist auch 2024 rum. Ich schaue auf diese Songs zurück und es fühlt sich manchmal so an, als ob es ein anderer Mensch gewesen wäre, der sie geschrieben hat. Und jetzt? Jetzt ist 2024 auch schon wieder Geschichte. Habt ihr Lust auf ein kleines Resümee? Also gut. 2024.
Wenn man lange genug sucht, ihr Lieben, dann findet man in jedem Jahr genug Positives um das Bild zu vermitteln, einen Traum zu leben und genug Negatives um an sich und der Welt zu verzweifeln. Ich versuche beides kurz und einigermaßen in Balance zu halten.
In der Summe war 2024 ein schwieriges Jahr für mich. Klar, ich könnte die Schuld jetzt einfach der großen Weltlage geben. Überall in Europa scheitern gerade demokratische Regierungen unter dem Druck von Rechtsaußen. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert an und unsere Anteilnahme am Schicksal der Ukraine ist in vielerlei Bereichen umgeschlagen in ein kaltes “es muss jetzt auch mal gut sein” und auch in Palästina werden wir täglich Zeuge einer humanitären Katastrophe – wir müssten nur hinsehen. Wir tun noch immer nicht wirklich ansatzweise genug gegen den Klimawandel und dann ist da auch noch Donald Trump, den man trotz oder doch gerade wegen all seiner Unmöglichkeit erneut ins Amt gewählt hat und der uns Elon Musk als neuen Übergeschnappten Superbösewicht etabliert. Wenn ich darüber nachdenke, dann wäre es untertrieben zu behaupten, dass mir all das Sorgen bereitet. Vielmehr belastet und bedrückt es mich bis hin an den Punkt, an dem ich glaube den Verstand zu verlieren und an vielen meiner Mitmenschen zu zweifeln. Bis an den Punkt, an dem ich mich mehr und mehr frage, in welcher Welt wir wohl in fünf, in zehn, in fünfzehn Jahren Leben werden und es mir vor der Antwort graut. Bis an den Punkt, an dem ich das Gefühl nicht loswerde, dass sich Geschichte womöglich doch wiederholt, weil wir mehr und mehr moralisch erkalten. Manchmal, da fühlt es sich so an, als würde mich das lähmen. Ich habe eben diesen Hang zur Melancholie, ich bin zu oft nicht fähig, notwendigen emotionalen Abstand herzustellen. Jemand hat mir mal gesagt, dass es im bayrischen für diese Art Weltschmerz ein schönes Wort gibt: den Wehdamm. Ja, auch 2024 hatte ich den Wehdamm.
Aber auch jenseits von Politik und Weltgeschehen ist in diesem Jahr vieles nicht gut gelaufen. Es gab zu viele Momente des an-mir-zweifelns, des in-mir-versinkens und der Dunkelheit. Warum ist das so? Eine Antwort ist, dass ich nicht im Ansatz so viele Shows habe spielen können, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich kann gar nicht zählen wieviele Emails ich für das Booking in diesem Jahr erfolglos geschrieben habe. Es waren in jedem Fall mehr als 300 – mit viel Glück war einmal eine Absage dabei – zumeist blieben sie einfach unbeantwortet. Und ganz abgesehen davon, dass ich das Livespielen in größerem Rahmen vermisse, schwingt bei all dem die Angst mit, dass es, wenn es so weitergeht, bald vorbei sein könnte mit mir als Künstler. Die Angst, pathetisch ausgedrückt, vergessen zu werden, mir nur noch vorzumachen, irgendwem da draußen irgendwas zu bedeuten. Welchen Wert hat schon Kunst, wenn keiner sie hört? Zu oft habe ich mich dann verkrochen und so ist es auch kein Wunder, dass es mir 2024 schwerer und schwerer gefallen, mich selbst in den sozialen Netzwerken zu promoten. Weil es mir auch so oft so schrecklich anbiedernd vorkommt. Weil ich auch wirklich niemandem auf die Nerven gehen möchte. Weil ich mir einbilde, das Menschen mit den Augen rollen, wenn sie schon wieder einen Nonsens-Post von diesem DearJohnAllen sehen der nichts will, außer um Aufmerksamkeit zu betteln. Die Erkenntnis, dass nicht Information zu Musik oder zu Konzerten allein die digitale Landschaft dominieren kann, sondern dass es ein Spiel um Personenkult ist, ein systemisch gewolltes ständiges Ringen um Aufmerksamkeit, das empfinde ich wirklich als schwierig. Ganz ehrlich, ich finde mich eben gar nicht so toll, dass ich ständig das Gefühl verspüre, mich so in den Mittelpunkt zu drängen und anzubiedern. Ich möchte halt meine Musik machen, gelegentlich Gedanken äußern und ansonsten eigentlich die Klappe halten. Leider habe ich 2024 schmerzlich erfahren, dass die Konsequenz der Untergang im Algorithmenstrom ist, das kann man an den Reichweitenzahlen ziemlich gut ablesen.
Nunja und dann war dar der Sommer… die Tatsache, dass ich Shows mit der Campfire Cameraderie wegen einer Covid Erkrankung absagen musste hängt mir noch immer in den Knochen. Es ist ja eine Sache eine Soloshow absagen zu müssen – schlimm genug – aber dann gleich noch Shows zu für meine Freunde Kathi, Tim und Jens mitzucanceln – das tat schon weh. Und dass es dann auch noch ausgerechnet eine Show in Hamburg erwischt hat war die Krönung. Tja, und dann, nach wochenlangem Husten und Kurzatmigkeit hatte ich im Oktober einen Fahrradunfall, bei dem ich, sprichwörtlich mit zwei blauen Augen davon gekommen bin. Mir graut es davor mir vorzustellen, was mit etwas weniger Glück hätte alles passieren können – und doch war die Konsequenz auch so gar nicht trivial. Ich kann schon seit mehr als zwei Monaten zunächst gar nicht, inzwischen zumindest nicht mehr schmerzfrei Gitarre oder Klavierspielen konnte, weil eine starke Prellung der linken Hand noch immer nachwirkt. Kurz gesagt, 2024 war an vielen Stellen eine Katastrophe und ich bin froh, wenn es rum ist.
Und doch ist da nicht nur Schatten. Wie gesagt, wer sucht, der findet eben auch Licht. Ich hatte vielleicht wenige Shows 2024, aber dafür ein paar herausragend tolle. Das Eurofolk Festival in Ingelheim, Woodways in Sendenhorst mit der Campfire Camaraderie, Lemwerder im Februar, Coesfeld, Wiesbaden und nicht zuletzt Kassel vor einigen Tagen. Ich bin für jeden dieser Abende so unglaublich dankbar, für all die freundlichen Gesichter und den Applaus. An jeden Veranstalter, jeden Betreuer, jeden Booker, jeden Tontechniker und Beleuchter: wie großartig ihr wart! Auf der Bühne zu stehen war ja ohnehin schon immer mein Glücksspender und auch nach all den Jahren funktioniert er zuverlässig.
Außerdem durfte ich 2024 tolle Abende mit Freunden verbringen, ein Gruß geht raus an Lilly, mit der ich seit Januar monatlich einen Benjamin Blümchen Podcast machen darf – ich weiß Nerdkram, aber ich kann euch kaum sagen, wie viel Spaß diese Aufnahmen machen und wie sehr mich das gute Feedback freut. Falls ihr noch nicht reingehört habt und euch das mal geben wollt: Die Elefantenrunde – gibts auf allen guten Podcast Kanälen. Und mit Tom, auch hier liebste Grüße, mache ich nun schon im dritten Jahr gemeinsam FÜNF, einen Podcast über nutzloses Wissen und auch das ist immer wieder ein Fest – wenn ihr schonmal eine Show von mir gesehen habt, dann kennt ihr meinen Hang zu skurrilen Nebensächlichkeiten und Geschichten. Überhaupt bin ich in der großen Podcast Community wundervoll aufgenommen worden. Liebe Grüße an dieser Stelle an alle Spezis, Fünf Freunde und und und.
Und dann durfte ich durch Irland reisen, drei Wochen im Sommer. Wie inspirierend diese Insel ist, wie wunderschön, magisch und wie verzaubernd. Und dann sitze ich in Keem Bay auf Achill Island, schaue von den Klippen hinab aufs Meer, spüre den Wind und plötzlich laufen mir Freudentränen die Backe runter – einfach so – weil es so schön ist und mir in dem Moment klar wird, dass ich trotz allem ein Glückspilz bin. Und Leonard Cohen hat eben doch recht. There’s a crack in everything – that’s how the light gets in! Und dann sitze ich in einer Bar in Donegal und schaue mich um, vor mir liegt mein Notizbuch und ganz plötzlich fließen die Zeilen förmlich aus mir heraus und ich schreibe den ersten Song seit fast zwei Jahren. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie großartig sich das anfühlt. Eigentlich hatte ich mit dem dem Ende von 2023 das Songwriting für mich schon abgeschlossen. Der Quell, so hat es sich bis zum Sommer angefühlt, war irgendwie versiegt und jetzt ist da auf einmal diese Perspektive, dass da Songs vor mir liegen, die neu sind, die noch kaum jemand kennt und die ich euch Stück für Stück vorsingen darf. 2025 wird es für ein neues Album wohl nicht mehr reichen, aber ich kann euch versprechen, es wird ein neues Album geben – vielleicht ja 2026. Das sind doch wundervolle Aussichten, oder?
Und wenn ich schreibe, dass ich aktuell nicht weiß, wie es 2025 mit Shows weitergeht, dann hat auch das eine Sonnenseite. Es wird 2025 eine Menge Raum für Wohnzimmerkonzerte geben. Ich habe solche Shows schon immer geliebt, sie waren immer besonders und ich habe für mich beschlossen, 2025 so viele Wohnzimmerkonzerte wie möglich spielen zu wollen. Wenn ihr also bis hierher gelesen habt und Lust habt, mich im kommenden Jahr zu euch einzuladen – schreibt mir gerne, ich freue mich von euch zu lesen!
So, jetzt komme ich aber auch zum Schluss! Also, ihr Lieben! 2024 ist quasi passé. Für jedes Like, für jeden Kommentar, für jede Email – habt vielen, vielen Dank. Ich glaube, es ist euch manchmal nicht bewusst, wie wichtig das ist, emotionaler Support in schwierigen Zeiten. Für euren Support bei Patreon, für’s Hören meiner Podcasts, für’s Streamen und Kaufen und Weiterempfehlen meiner Musik, habt vielen, vielen Dank! Für eure Liebe, für eure Treue und eure Unterstützung, ihr seid mein ein und alles da draußen – habt dank, dass ihr mich, auch zehn Jahre nach Sophomore noch immer tragt. Ihr seid mein Eskapismus in schweren Zeiten.
An all meine Freunde, deren Nachrichten ich manchmal zu spät oder nicht beantwortet habe, weil mir manchmal das Leben zu schwer fällt. Ihr wisst, dass ich euch liebe und ich gelobe 2025 Besserung. Jeder einzelne Moment mit euch hat mein Jahr ein kleines Stück besser gemacht.
An meine Frau, die mich erträgt, mit all meinen Launen, mit all meiner Verzweiflung, meinen Sorgen und Nöten und es immer wieder schafft, mir altem Grübler mit ihrer Liebe das Lot gerade zu rücken. Niemals könnte ich mir ein Leben ohne dich vorstellen. Wie schön, dass ich aus voller Überzeugung sagen kann: es mag schwere Zeiten geben, aber zusammen niemals schlechte Zeiten.
Euch allen, die ihr bis hierhin gelesen habt: Wir sehen uns, wir lesen uns und wir hören uns im neuen Jahr 2025. Ich wünsche euch und euren Liebsten ein schönes Silvester, einen guten Start ins neue Jahr, Glück, Gesundheit und vor allem Zufriedenheit. Seid nett zueinander, hört einander zu, seit gnädig mit anderen und, hier ist auch eine Lektion für mich drin, seid gnädig mit euch selbst!
John
Hamburg, 31.12.2024